03. März 2022

Russlands offener Krieg gegen die Ukraine

Ein Statement des Prorektors Forschung Prof. Raj Kollmorgen mit Blick auf unsere Hochschule.

Die politische Elite Russlands und ihr – bis heute – unumschränkter Führer Wladimir W. Putin haben am 24. Februar 2022 eine militärische Invasion des Nachbarlandes Ukraine begonnen. Die Aggression hält unvermindert an, ja droht weiter zu eskalieren. Mittlerweile wurden tausende Menschen bereits getötet, darunter unbeteiligte Zivilisten, auch Kinder. Weit mehr Menschen wurden verletzt; Infrastrukturen sind zerstört, Gebäude und Plätze bombardiert worden.

Was in den kommenden Tagen und Wochen in der Ukraine und weltpolitischer Bühne passieren wird, ob es zur Ausweitung der Kämpfe kommt, welche Gegenwehr die ukrainische Armee und sich formierende Freiwilligenverbände leisten können, ob die Waffenstillstandsverhandlungen absehbar zum Erfolg führen können oder ob sich in Russland Massenproteste gegen den Krieg formieren und einen Sturz Putins erzwingen – niemand weiß das gegenwärtig.

Was wir als informierte Bürger*innen und Hochschulmitglieder aber wissen können und wissen sollten, ist, ...

... dass Putin einem fassadendemokratisch-autoritären Herrschaftsregime vorsteht, das mit Staatspropaganda und Kontrolle der Massenmedien, mit bürokratischen und offen gewaltförmigen Methoden seine Herrschaft in der Russischen Föderation ausübt und imperiale Ziele verfolgt, die auf eine Wiederherstellung großrussischer Macht im postsowjetischen Raum Osteuropas und Zentralasiens sowie auf weltpolitischer Ebene zielt.

... dass der Angriff auf die Ukraine mit Behauptungen über eine Gefahr der russischen Bevölkerung in der Ukraine (durch „Faschisten“ und „Nationalisten“) und für Russland durch den ukrainischen Staat, vor allem aber mit der Klage eine Sicherheitsgefährdung Russlands durch die NATO begründet wurde – wobei die erste Behauptung absurd ist und die zweite Klage – selbst wenn sie berechtigt wäre, was zu bezweifeln ist – nichts mit der Ukraine und ihrer Invasion zu tun hat.

... dass die Ukraine, wie jeder souveräne Staat dieser Welt, selbst entscheiden kann und darf, ob sie den Antrag auf Beitritt zu einem Militärbündnis stellt oder nicht, ob sie sich zur Neutralität verpflichtet oder Beistandspakte mit Dritten schließt. Russland steht in keinem Fall das Recht zu, darüber zu befinden und mit zu entscheiden. Dabei ist es irrelevant, ob andere Staaten Ähnliches beanspruchten oder getan haben. Das Unrecht Dritter legitimiert nicht das eigene Unrechtshandeln.

... dass Russland 1994 der Ukraine feierlich die Unantastbarkeit ihrer Grenzen und ihre volle Souveränität auf ewig vertraglich zugesichert hat im Tausch gegen die Aufgabe der ukrainischen Atomwaffen (über 1.200 Atomsprengköpfe aus den Arsenalen der Ende 1991 aufgelösten Sowjetunion verfügte die Ukraine), was Putin und den russischen Staat heute nicht interessiert.

... dass, was immer die (geo-)politischen, ökonomischen, kulturellen oder journalistischen Kränkungen, Missachtungen, Zurücksetzungen oder ignoranten Behandlungen Russlands und seiner politischen Elite in den letzten drei Jahrzehnten gewesen sein mögen, welche formellen und informellen Verträge zwischen Russland und dem Westen nach dem Ende der Sowjetunion auch immer verletzt oder gebrochen worden sind, was immer auch an Bedrohung durch „den Westen“, die NATO und die USA durch die Eliten empfunden und wahrgenommen wurde – nichts von alldem einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (nicht etwa: gegen die USA oder die NATO) auch nur ansatzweise legitimieren, ja nicht einmal argumentativ plausibilisieren kann. Die Ukraine wird angegriffen, weil es um die Ukraine, ihre Politik, ihre Souveränität, ihr Vorbild für die russische Demokratiebewegung im Verhältnis zum russischen imperialen Bewusstsein und zum autoritären Staat geht.

... dass diese These auch keine Hypothese ist, sondern seit spätestens seit 2005 und verschärft seit 2014, d.h. der Okkupation der Krim und der offensiven Unterstützung der abtrünnigen überwiegend russischsprachigen Gebiete („Republiken“) der Ostukraine, ein factum darstellt. Von einer mit dem jetzigen Angriffskrieg gegebenen „Zeitenwende“ zu sprechen, ist insofern kaum nachvollziehbar. Wenn überhaupt, dann besteht die Zeitenwende in der brutalen Offenheit der militärischen Aggression. Dieser Angriffskrieg trägt insofern – was immer Putin und sein Apparat auch an anderweitigen Ideen und Argumenten, vermeintlichen Beweisen und Ableitungsketten noch vorlegen mögen – einen offenkundig imperialen Charakter; er ist ein in diesem Sinne imperialistischer Krieg.

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Seit meiner Kindheit eigene ich mir – und je älter ich wurde und werde, desto selbstmotivierter – die russische Kultur an, höre russische (aber auch ukrainische, belarussische, kasachische usw.) Musik, lese russische Literatur – von Iwan Turgenjew bis Walam Schalamow, von Leo Tolstoi bis Andrej Belyi, von Fjodor Dostojewski bis Michail Bulgakow – und ringe mit der russischen und (post)sowjetischen Geschichte und Gesellschaft. In vielem ist mir die russische (und breiter: [post]sowjetische) Kunst und Kultur näher als irgendeine andere (abgesehen von Teilen der deutschen). Zugleich und vermutlich auch: eben darum ist und bleibt es ein Ringen, das neben der Nähe die Distanz, neben dem Verstehen das Befremden, ja das Unverständnis, neben der Sehnsucht auch die Flucht kennt. ... Ich notiere dies hier nur aus zwei Gründen. Zum einen, um zu zeigen, dass ich nicht zu jenen gehöre, denen Russland entfernt und egal ist und die eben deshalb in diesem Krieg nur ein letztes Zeichen, einen letzten Beweis für das schon immer für sie „abscheuliche“, „asiatische“ oder „vormoderne“ Russland sehen. So mächtig die Geschichte sein mag, die Zukunft, jede Zukunft bleibt offen. Zum anderen und unmittelbar anschließend schreibe ich das auf, um die ,andere Seite‘ Russlands, seiner Menschen nicht auszuklammern und zu vergessen. Russland ist nicht nur dieser Krieg, die Annexion der Krim, die Oligarchen-Wirtschaft oder Putin und sein Herrschaftsapparat – es sind auch die vielen Demokratinnen und Demokraten, die zivilgesellschaftlichen Akteure, freie Journalistinnen und Wissenschaftler, mutige Protestierende und Widerstand Leistende – in den Metropolen wie in den Mittelstädten und den Weiten des ländlichen Raumes. An diese denke ich, auf diese hoffe ich auch jetzt, wenn es darum geht, den Angriffskrieg in Russland selbst zu stoppen. Das mag in den kommenden Tagen nicht wahrscheinlich sein – aber wer weiß das schon. Auch hierfür gilt: Jeder Widerstand, jede Revolution hat etwas Blitzhaftes, Unvorhersehbares. ...

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Auch in deren Namen und zu deren Unterstützung wie und vor allem angesichts der schrecklichen Bilder des Krieges in der Ukraine und mit Blick auf unsere Hochschulpartner in der Ukraine, deren Student*innen und Mitarbeiter*innen, sind wir daher als demokratische Hochschulgemeinschaft aufgerufen,

  • uns an den Protesten gegen diesen Krieg und gegen Russlands imperialen Herrschaftsanspruch zu beteiligen (ohne darin und damit die russische Gesellschaft und Bevölkerung insgesamt zu verdammen),
  • selbst aktiv Hilfe und Solidarität in den geeigneten Formen zu leisten (von Spenden bis zur Aufnahmebereitschaft von Flüchtenden und ggf. Stipendien oder Praktika für Studierende und Wissenschaftler*innen aus der Ukraine, namentlich unserer Partnerhochschulen; die Hochschulleitung ist hier bereits in Absprache mit den anderen Hochschulen Sachsens aktiv geworden und plant Angebote),
  • die Aufklärung des Angriffskrieges und seiner Gründe in einem offenen demokratischen und akademischen Diskurs zu unterstützen und ggf. entsprechende Foren mit zu organisieren.

Das Rektorat und ich persönlich stehen allen Studierenden, Mitarbeiter*innen und Professor*innen für Rückfragen oder Ideen und Vorschläge für Aktionen und Unterstützungsleistungen gerne zur Verfügung. Bitte kontaktieren Sie mich unter der bekannten E-Mail-Adresse.

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Dieser Angriffskrieg möge so schnell wie möglich enden, durch Russland beendet werden; jeder Tag der Aggression, des Kämpfens und Sterbens ist einer zu viel.

„Wer die Gewalt als seine Methode proklamiert hat, muss die Lüge zu seinem Prinzip machen.“ Alexander I. Solschenizyn
Foto: Prof. Dr. phil. habil. Raj Kollmorgen
Prorektor für Forschung
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Raj Kollmorgen
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