Über die Brücke von der Hochschule nach Zgorzelec und ein paar Kilometer nach Osten – schon befindet man sich mitten in Schlesien.
Über die Brücke von der Hochschule nach Zgorzelec und ein paar Kilometer nach Osten – schon befindet man sich mitten in Schlesien. Ein Fragment Mitteleuropas, das Teile des heutigen Deutschlands, Polens und Tschechiens umfasst.
Wir, eine Gruppe von 13 Studierenden des Faches Kultur und Management (WKb16), machen uns heute auf den Weg, das Kulturerbe dieses Gebiets zu erkunden.
Durch verschneite Hügellandschaften, weiße Wälder und gemütlich anmutende Dörfer fahren wir zu unserer ersten Station: dem Gerhart-Hauptmann-Haus in Jelenia Góra, vor der Verschiebung der deutschen und polnischen Grenze Hirschberg genannt. Der riesige Garten des prächtigen Hauses ist von Schnee bedeckt, noch unberührt. Vor der Haustür begrüßt uns die jahrzehntelang verschollene Marmorfigur eines verzückten nackten Mädchens – der armlose Torso von „Hannele“, die in einem Drama Hauptmanns in den schlesischen Himmel fährt. Geschaffen hat sie um 1943 Josef Thorak.
Im Haus des Literaturnobelpreisträgers von 1912 werden wir in der Eingangshalle – auch Paradieshalle genannt – empfangen, wo unser Augenmerk sofort auf die prächtige Wandbemalung gelenkt wird. Im Jahre 1922 schuf hier ein Freund Hauptmanns, der expressionistische Maler Johannes Maximilian Avenarius (übrigens auf dem Nikolaikirchhof in Görlitz begraben) acht Monate lang eine Wandmalerei mit verschiedensten Motiven und Symbolen aus der Bibel, unter anderem dem Sündenfall. Über dem Eingang des ehemaligen Musikzimmers, heute Raum für eine temporäre Ausstellung über Maria Konopnicka (die viele der Werke Hauptmanns vom Deutschen ins Polnische übersetzte), ist ein Geige spielender Engel dargestellt: eine Hommage an Margarete, Hauptmanns zweite Frau.
Im oberen Stockwerk zeigt eine Ausstellung mithilfe von Fotos Eckpunkte aus Hauptmanns Leben. Geschichten über Personen, die ihm nahestanden, geben uns einen Einblick in die Welt des 19. und 20. Jahrhunderts.
Dann ist die Zeit auch schon um und nach dem obligatorischen Gruppenfoto steigen wir wieder in den Bus – es geht weiter Richtung Schloss Książ (früher Schloss Fürstenstein), das jahrhundertelang im Besitz des schlesischen Adelsgeschlechtes von Hochberg war. Im 2. Weltkrieg vom Naziregime als Stützpunkt genutzt, ist heute im Innern des Schlosses vieles anders, als es zu seiner Glanzzeit war.
Wo sich früher Gotik und Barockarchitektur ergänzten, wurden die prächtigen Einrichtungen fortgeschafft und durch niedrige Decken und Stahlbeton ersetzt. Nur der repräsentative Barocksaal im Barockflügel erstrahlt noch in seinem alten Glanz. Von drei Orchesterbalkons kann man auf die symmetrisch angelegten Spiegel und Kamine hinuntersehen. Daneben finden sich weitere Empfangs- und Gesellschaftsräume mit goldgewebten Wandteppichen, größtenteils mit rekonstruierten Deckenverzierungen und Gemälden früherer Zeiten. Als Kontrast dazu zeigt sich im nächsten Raum wiederum eine blanke Stahlbetonkonstruktion.
Wir begeben uns auch in die unterirdischen Gänge, die vor über einem halben Jahrhundert zu Bunkern umgebaut wurden. Doch es sind immer noch die gotischen Strukturen wie Spitzbögen erkennbar, die dem Umbau weichen mussten.
Nach der Besichtigung der Ausstellung in den oberen Stockwerken des Schlosses, die die adligen Bewohner und deren Alltag zeigt, geht es schon weiter zur letzten Station der Exkursion: die Friedenskirche Schweidnitz (heute Świdnica).
Das verwinkelte Fachwerkgebäude, heute Weltkulturerbe und eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Schlesien, ist im Stil des Barock gehalten.
Die größte Fachwerkkirche Europas, vom Typ her eine Basilika, wurde für die schlesischen Protestanten 1656–1657, nach dem Westfälischen Frieden, aus Holz, Lehm und Stroh gebaut.
Der freistehende Altar, der fast komplett aus Holz besteht, befindet sich in einem prunkvollen Innenraum mit herausragenden Logen. Früher waren diese der Oberschicht vorbehalten, mehrere tausend Menschen fanden in der Kirche Platz. Die Plätze auf den Logen konnten nur durch Erbschaft oder Schenkung innerhalb des höheren Standes besetzt werden – heute sind sie der Allgemeinheit frei zugänglich, unter anderem zu Konzerten. So berichtet der Audiokommentator, der auch weitere Besonderheiten der Friedenskirche herausstellt.
Westlich der Kirche befindet sich ein Friedhof, der über 250 Jahre lang bis ins 19. Jahrhundert als Ort der Beisetzung verstorbener Gemeindemitglieder diente. Heute ist er jedoch verfallen.
Im kleinen Café können wir noch schnell einen Kaffee trinken, bevor es zurück nach Görlitz geht – nach einem langen, aber ereignisreichen Tag voller neuer Eindrücke und mit dem Gefühl, ein Stück Geschichte mitgenommen zu haben.
Die Tagesfahrt wurde organisiert in Kooperation mit der Kulturreferentin für Schlesien am Schlesischen Museum Frau Agnieszka Bormann.
Autorinnen: Antonia Bartl und Carolin Renner (WKb16)