Zwischen Polen und Tschechien herrschen besondere Verhältnisse weiß Dr. Böhm von der TU Liberec zu berichten.
Der Vortrag von Dr. Hynek Böhm von der TU Liberec (Fachbereich Geographie) führte am 19. April 2018 in eine aus deutscher Sicht wenig beachtete Grenzregion in der Mitte Europas. Zur Einführung stellte Professor Kollmorgen die thematische Verbindung zu den beiden vorangegangenen Beiträgen des Historikers Dr. Markus Bauer und des Diplom-Pädagogen Jan Steffens her, die in der Ringvorlesung „Der ostmitteleuropäische Raum: Alte und neue Grenz(ziehung)en“ gehalten worden waren.
Die circa 35 Zuhörerinnen und Zuhörer folgten anschließend den Ausführungen Dr. Böhms, der unter anderem Experte für Fragen der Visegrád-Staaten bei der Europäischen Kommission „Cross-border Cooperation“ [CBC] ist. Sein Vortrag stand unter der Überschrift „Cross-border Cooperation as a Contribution of Paradiplomacy to the Reconciliation on Czech-Polish Border”. Dass Grenzregionen eben kein Randthema sind, erkennt man daran, dass immerhin ein Viertel der europäischen Bevölkerung in Grenznähe lebt. Doch das größte Problem stellt die Barriere im Kopf dar. Viele Grenzen sind Gebiete früherer Konflikte.
Polen und Tschechien unterscheiden sich nicht nur allein auf Grund ihrer Größe und der Bevölkerungsverteilung, sondern auch in den unterschiedlichen Charakteren der jeweiligen Hauptstädte. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern weisen keine schwerwiegenden Probleme aus und sind historisch betrachtet auf dem besten Stand. Gemeinsamkeiten gibt es beispielsweise bezüglich der Migrationspolitik, ähnlich der Politik in den anderen Visegrád-Staaten.
Auf persönlicher Ebene sieht es etwas anders aus. So mögen Polen die Tschechen mehr als umgekehrt. Tschechen tendieren dazu, andere zu ignorieren – mit Ausnahme der Slowaken, zu denen man 25 Jahre nach der Trennung ein wesentlich besseres Verhältnis hat, meint der Referent mit einem ironischen Unterton. Von tschechischer Seite werden keine Probleme in den bilateralen Beziehungen gesehen, von polnischer Seite dagegen eher, insbesondere in Bezug auf die polnische Minderheit im Nachbarland.
Damit wand sich der Vortrag dem zentralen Thema zu, der Grenzregion um die geteilte Stadt Český Těšín/Cieszyn (dt. Teschen) in Schlesien südlich von Katowice. Das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Teschen ist Gegenstand eines heute fast vergessenen Aspekts gemeinsamer Geschichte, des polnisch-tschechoslowakischen Grenzkrieges im Januar 1919. Folge war, dass die Stadt 1920 entlang des Flusses Olsa getrennt wurde. Nach Verabschiedung des Münchner Abkommens 1938 annektierte Polen den tschechischen Teil. Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Vor-Zustand wiederhergestellt. Heute ist die Doppelstadt mit 25.000 Einwohnern auf tschechischer und 35.000 Einwohner auf polnischer Seite – das Zentrum der Euroregion Těšínske Sleszsko/Śląsk Cieczyński (Teschener Schlesien).
Die Entwicklung der Euroregionen begann in den 1960er Jahren als Mittel für Völkerverständigung im westeuropäischen Raum. In diesem Zusammenhang kann der Begriff paradiplomacy – Neben-Außenpolitik verwendet werden. Doch die eigentliche Gründungswelle erfolgte in den 1980er Jahren, gefolgt von weiteren Erweiterungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Systemwechsel in den sozialistischen Staaten Europas.
Die Euroregion Těšínske Sleszsko/Śląsk Cieczyński wurde vor 30 Jahren am 22. April 1998 gegründet. Durch die Zweisprachigkeit der polnischen Minderheit und auch der grundsätzlichen Nähe der beiden slawischen Sprache kommt – im Gegensatz zur Euroregion Neiße-Nysa-Nissa – keine Sprachbarriere auf. Auch auf wirtschaftlicher Ebene gibt es enge Kooperationen. Doch stellen nach Meinung des Referenten, der selbst aus dieser Region stammt ‒ die Diskriminierung von Minderheiten in beiden Staaten ein Problem dar. Die Arbeitsschwerpunkte der Euroregion liegen in der Entwicklung der Grenzregion unter anderem auf dem Gebiet des Transports, des Umweltschutzes, des Katastrophen- und Risikomanagements, von Tourismus und Bildung. Im Gegensatz zu anderen Euroregionen stehen Aspekte der Friedenswahrung und der Versöhnung nicht im Fokus. Dies ergab auch eine Analyse der realisierten EU-Projekte, die der Referent selbst vorgenommen hat. Von den insgesamt 300 Projekten widmeten sich die meisten Sport und Kultur (51 bzw. 71 Projekte). Kontroverse Themen werden in den Projekten überwiegend vermieden; lediglich 16 Projekte behandelten Geschichtsthemen. Und wenn dies geschah, dann wurden die Vorhaben von Organisationen der polnischen Minderheit realisiert, zum Teil gegen den Widerstand der tschechischen Stadtverwaltungen.
In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, wer über solche Projekte erreicht wird. Der Schwerpunkt liegt da eher auf den Eliten – ein Problem, dass nicht allein diese Euroregion betrifft. Eine andere Frage ist, was passiert, wenn es solche Euroregionen nicht mehr gibt. Die Bedeutung gegenseitigen Vertrauens ist auch heute ungebrochen. Dr. Böhm sprach in Bezug auf alle Grenzregionen ein schönes Schlusswort: „Here Europe is made!“