Die letzte Cola in der Wüste
Schulze sagt, diese veraltete Vorstellung von: „Wir als Hochschule haben das Wissen inne, schicken es in die Wüste, wo man nach Wissen dürstet, und dann erzählen wir den Unternehmen wie es geht“, gelte nicht mehr. Große Unternehmen forschen längst selbst in ihren Bereichen.
Es ist anscheinend nicht die eine Idee – es ist die Praxis, die Menschen wie Mandy Schulze und ihr Handlungswissen braucht. „Man sollte sich über die Rolle einer regionalen Hochschule bewusst werden. Und zwar gemeinsam“, sagt Schulze. Die wissenschaftliche Weiterbildung sei eine Möglichkeit, mit Problemen und Unsicherheiten umzugehen. „Wir wissen doch, was regional los ist.“ Die Öffnung von Hochschule für Weiterbildungsabschlüsse kann moderne Wissenschaft etablieren – „Das ist so meine thematische Leibspeise“, sagt Schulze. „Da liegt die Zukunft drin.“
Das klingt, als hätte Schulze schon die Lösung. „Wie können wir Probleme lösen, ohne die eine Lösung zu haben? Dass, was wir tun müssen, ist unsere theoretische Brille aufzusetzen und mit einem transdisziplinären Blick mit verschiedenen Perspektiven auf die Dinge zu gucken und sie zu klären.“ Die Hochschule muss sich fragen: was ist unser Auftrag – welche gesellschaftlichen Probleme wollen wir mit Hochschule beantworten?
Oberlausitz-Transfer
Eine Frage jagt die nächste. Und es sind große Fragen, die Schulze sich stellt. Wie bekommen wir Wissenschaft in die Gesellschaft und umgekehrt? Wie sieht praxisfeldbasierte Erkenntnis aus? Wie kann Hochschule gesellschaftliche Themen aufarbeiten, einen Transfer leisten? Was macht die wissenschaftliche Weiterbildung zu einer wissenschaftlichen Weiterbildung? Wie sollte denn so ein Angebot aussehen? Und am Ende steht die vielleicht wichtigste Frage: Wie kann das auf unser Sozioökologisches System Oberlausitz passen?
1988 hatte Zittaus damalige Ingenieurhochschule den Status einer Technischen Hochschule erhalten, zuvor schon das Promotionsrecht. Das verlor sie mit der Neugestaltung der sächsischen Hochschullandschaft nach der Wende wieder, wurde zur Fachhochschule degradiert. „Das macht ja etwas mit der Region“, sagt Schulze. Sie selbst verließ kurz nach der Wende ihre Heimat. 2010 gründete Schulze mit Mitstreiterinnen die Initiative 3te Generation Ostdeutschland. Dafür sind sie 2013 mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreist und 2020 mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden. Mit der Perspektive3 will Mandy Schulze die Beteiligung ihrer Generation am Wandel in Ostdeutschland unterstützen – in einen Lernprozess kommen, in einen Dialog.
Wie positionieren wir uns als Fachhochschule in der Hochschullandschaft?“ „Wie weit wollen wir uns öffnen? Wie können wir über Unternehmensstrukturen und gesellschaftliche Voraussetzungen in unserer Region reden? Wir müssen in eine Beziehungshaftigkeit, in einen Diskurs kommen, sagt Schulze. „Und zwar nicht nur, indem einer vorne steht und mit einer Power Point Präsentation seine wissenschaftlichen Studien erklärt. Wir müssen andere Formen finden, miteinander zu reden und anwendungsorientierter zu arbeiten.“
Studieren um sich zu sich selbst zu machen
Es brauche eine gewisse Lehrbasis, sagt Schulze. „Natürlich müssen wir in der Lehre gewisse Perspektiven aus einem Fachzusammenhang vermitteln. Das verstehe ich auch unter Wissenschaft.“ Ihre Studierenden sollen sich darüber hinaus eine gewisse Haltung erarbeiten. „Ich werde gemeinsam mit ihnen argumentieren“, aber das sei kein fester Bildungskanon. „Die Studierenden brauchen mich nicht nur als Inputgeberin, die sie mit Wissen vollstopft. Die brauchen jemanden, der gemeinsam mit Ihnen Fragen stellt.“ Es dauere eben diese sieben Semester, sagt Schulze, „bis man sich sein Thema schnappt, seine Bachelorarbeit schreibt, und alles, was man gelernt hat, in diese Arbeit gießt. Am Ende hat sich jemand zu sich selbst gemacht, indem er sich eine eigene Perspektive erarbeitet hat.“
„Die Studierenden brauchen mich nicht nur als Inputgeberin, die sie mit Wissen vollstopft. Die brauchen jemanden, der gemeinsam mit Ihnen Fragen stellt."
Mandy Schulze sagt, „ich bereichere mit meiner Perspektive auf Netzwerke.“ Zusätzlich zur Lehre, läuft die Auseinandersetzung und Forschung mit ihren Themen immer nebenbei – sie freut sich über diese spannende Zeit der Transformationsprozesse. „Genau wie zur Wendezeit sind Strukturen weggebrochen und neue entstehen.“ Schulze regt an, diese (unsichere) Zeit zu nutzen: was gibt es für Gemeinwesenarbeit? Wieviel von meinem Wissen kann ich einsetzen? Und was nicht? Mit wem stimme ich mich ab, oder nicht? „Wir können nicht sagen, wie es weitergeht. Es könnte alles auch ganz anders sein. Da ist eine Unsicherheit, die wir aushalten müssen. Ein Lernprozess in der modernen Zeit – und der muss ein bisschen Pfeffer haben und Chili!“
Das Gespräch führte Sophie Herwig