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25. Mai 2020

„Ein bisschen Pfeffer und Chili“

Ein Gespräch mit Prof.in Dr.in Mandy Schulze über Hochschule, Weiterbildung und Transformationsprozesse in der Oberlausitz.

Sie gehört zur sogenannten Dritten Generation Ostdeutschlands. Also zu den Menschen, die etwa zwischen 1975 und 1985 in der DDR geboren wurden, die der Debatte um die Neuen Länder neue Impulse geben wollen und sich dem Engagement in Ostdeutschland verschrieben haben. Prof.in Dr.in Mandy Schulze. Jahrgang 1976, wuchs in Löbau-Ost auf. Eine Rückkehrerin. An der Hochschule Zittau/Görlitz ist sie seit Mai 2019 Professorin für Sozialarbeitswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialraumentwicklung am Standort Görlitz und Mitglied im TRAWOS Institut für Transformation, Wohnen und soziale Raumentwicklung.

Soziale Arbeit ist der größte Studiengang der HSZG. Die über 700 Studierenden an der Fakultät Sozialwissenschaften in Görlitz machen gut ein Viertel der gesamten Hochschule aus. "Dafür kommen wir noch sehr wenig vor“, Mandy Schulze lacht. Sie freut sich, dass sie das nun ändern kann. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und Erziehungswissenschaften in Mannheim, Heidelberg und Berlin. Sie promovierte über Weiterbildende Studiengänge an Hochschulen an der Humboldt Universität zu Berlin, ist Mitbegründerin des Vereins Perspektive³ und im Redaktionsteam der Zeitschrift Hochschule und Weiterbildung (ZHWB). 

Zukunft der Hochschule

Das Thema der Hochschulweiterbildung zieht sich schon lange durch ihren Lebenslauf. „Für mich hat persönliche und berufliche Erfahrung ganz viel mit Weiterbildung zu tun“, sagt sie. Eines merkt man sofort im Gespräch mit Mandy Schulze: sie hinterfragt bestehende Strukturen. Spontan spinnt sie eine völlig logische Verbindung zwischen Grenzen der Hochschulentwicklung und physischen Grenzen. „Was ist Hochschule, was Weiterbildung, was Wissenschaft? Grenzen sind fließend. Auch ein Thema – jetzt wo die Grenzen wieder zu sind.“ 

Gerade hat sie den Band Hochschulweiterbildung als Forschungsfeld – Kritische Bestandsaufnahmen und Perspektiven mitherausgegeben. Das Themenfeld Hochschulweiterbildung wird dabei anhand aktueller Forschungsergebnisse systematisch aufbereitet, Entwicklungsbedarfe sichtbar gemacht. „An was wird denn aktuell geforscht? Wo guckt eigentlich keiner hin? Wo sind die Themen, die nicht hinterfragt werden?“ Das ist Schulzes Forschungsfeld. Hier kennt sie sich aus.

„Die Entwicklung von Fachhochschulen finde ich total spannend“, sagt Schulze. "Die HSZG hat eine unglaubliche Bandbreite an Studienfächern. Leider gibt es weniger Studierende in den technischen Studiengängen. Dagegen bewerben sich in den Sozialwissenschaften in Görlitz allein auf den Studiengang Soziale Arbeit über 400 Prozent auf 90 Plätze. Etwa 100 werden immatrikuliert. Der Studiengang ist dann immer bis auf den letzten Platz gefüllt.“ Schulze liegt das Thema der Hochschulweiterbildung am Herzen. Aber nicht aus einem wirtschaftlichen Faktor heraus: Was macht eine Hochschule zur Hochschule beim Angebot von Weiterbildung? Die Vergabe akademischer Titel? Es gehe nicht allein um den Titelerwerb. „Bekommen wir beruflich Qualifizierte an die Hochschule, um mit ihren Erfahrungen und theoretischer Auseinandersetzung Neues zu entwickeln? Und wie durchlässig ist die Hochschule im Gegensatz zur beruflichen Bildung? Wo hört denn die berufliche Bildung auf und wo fängt eine wissenschaftliche Bildung an? Wie sollte denn so ein Angebot aussehen?“

„Die Virologen in der aktuellen Corona Pandemie haben sich vernetzt; das ist modern. Sich nicht gegenseitig die Masken wegschnappen oder Grenzen schließen. Sondern sich zusammentun, Know-how teilen.“

Wissenschaftliche Weiterbildung als Kommunikationsweg

Welche Rolle kann die Hochschule zukünftig einnehmen? „Bieten wir an, was Unternehmen brauchen? Durch Studiengänge und disziplinäres Denken?“ Schulze sagt, das funktioniere nicht (mehr), trotzdem mache man es noch so. Gerade in der Weiterbildung wäre das spannend. „Wenn man fragt – Was braucht ihr in eurem Unternehmen in fünf Jahren für Personal? – kann das keiner beantworten. Wir gehen fälschlicherweise von Konstanten aus, dabei ist alles viel lebendiger.“ Sie sagt: Hätte man die Leute vor fünfzehn Jahren gefragt, ob sie ihre Emails von überall abrufen oder Filme auf dem Telefon sehen wollen, hätten sie gesagt, nö, ich kann ja zu Hause nachschauen. Dann kam das iPhone. Und alle wollten tragbare Informationen. „In Lösungen denken“, sagt Schulze, „nicht in Produkten.“

Seit 2015 gibt es mehr Studienanfänger*innen als Berufsausbildungsanfänger*innen. Studiengänge orientieren sich aber nur bedingt am aktuellen Arbeitsmarkt, weil akademisches Wissen unabhängiger ist, sagt Schulze. „Immer mehr wird akademisiert (wie die Kindheitspädagogik) – das ist auch gar nicht schlecht, weil dadurch Forschungsfelder entstehen.“ Wissenschaftliche Weiterbildung sei dafür ein Kommunikationsweg. „Die Virologen in der aktuellen Corona Pandemie haben sich vernetzt; das ist modern. Sich nicht gegenseitig die Masken wegschnappen oder Grenzen schließen. Sondern sich zusammentun, Know-how teilen.“ Sie meint damit auch, verschiedene Expertisen zulassen, die Meinung von Wirtschaftswissenschaftlerinnen, Fachkräften der Sozialen Arbeit und IT-Spezialisten.

Hätte man die Leute vor fünfzehn Jahren gefragt, ob sie ihre Emails von überall abrufen oder Filme auf dem Telefon sehen wollen, hätten sie gesagt, nö, ich kann ja zu Hause nachschauen. Dann kam das iPhone. Und alle wollten tragbare Informationen. In Lösungen denken, sagt Schulze, nicht in Produkten.

 

Die letzte Cola in der Wüste

Schulze sagt, diese veraltete Vorstellung von: „Wir als Hochschule haben das Wissen inne, schicken es in die Wüste, wo man nach Wissen dürstet, und dann erzählen wir den Unternehmen wie es geht“, gelte nicht mehr. Große Unternehmen forschen längst selbst in ihren Bereichen. 

Es ist anscheinend nicht die eine Idee – es ist die Praxis, die Menschen wie Mandy Schulze und ihr Handlungswissen braucht. „Man sollte sich über die Rolle einer regionalen Hochschule bewusst werden. Und zwar gemeinsam“, sagt Schulze. Die wissenschaftliche Weiterbildung sei eine Möglichkeit, mit Problemen und Unsicherheiten umzugehen. „Wir wissen doch, was regional los ist.“ Die Öffnung von Hochschule für Weiterbildungsabschlüsse kann moderne Wissenschaft etablieren – „Das ist so meine thematische Leibspeise“, sagt Schulze. „Da liegt die Zukunft drin.“

Das klingt, als hätte Schulze schon die Lösung. „Wie können wir Probleme lösen, ohne die eine Lösung zu haben? Dass, was wir tun müssen, ist unsere theoretische Brille aufzusetzen und mit einem transdisziplinären Blick mit verschiedenen Perspektiven auf die Dinge zu gucken und sie zu klären.“ Die Hochschule muss sich fragen: was ist unser Auftrag – welche gesellschaftlichen Probleme wollen wir mit Hochschule beantworten?

Oberlausitz-Transfer

Eine Frage jagt die nächste. Und es sind große Fragen, die Schulze sich stellt. Wie bekommen wir Wissenschaft in die Gesellschaft und umgekehrt? Wie sieht praxisfeldbasierte Erkenntnis aus? Wie kann Hochschule gesellschaftliche Themen aufarbeiten, einen Transfer leisten? Was macht die wissenschaftliche Weiterbildung zu einer wissenschaftlichen Weiterbildung? Wie sollte denn so ein Angebot aussehen? Und am Ende steht die vielleicht wichtigste Frage: Wie kann das auf unser Sozioökologisches System Oberlausitz passen?  

1988 hatte Zittaus damalige Ingenieurhochschule den Status einer Technischen Hochschule erhalten, zuvor schon das Promotionsrecht. Das verlor sie mit der Neugestaltung der sächsischen Hochschullandschaft nach der Wende wieder, wurde zur Fachhochschule degradiert. „Das macht ja etwas mit der Region“, sagt Schulze. Sie selbst verließ kurz nach der Wende ihre Heimat. 2010 gründete Schulze mit Mitstreiterinnen die Initiative 3te Generation Ostdeutschland. Dafür sind sie 2013 mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreist und 2020 mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden. Mit der Perspektive3 will Mandy Schulze die Beteiligung ihrer Generation am Wandel in Ostdeutschland unterstützen – in einen Lernprozess kommen, in einen Dialog. 

Wie positionieren wir uns als Fachhochschule in der Hochschullandschaft?“ „Wie weit wollen wir uns öffnen? Wie können wir über Unternehmensstrukturen und gesellschaftliche Voraussetzungen in unserer Region reden? Wir müssen in eine Beziehungshaftigkeit, in einen Diskurs kommen, sagt Schulze. „Und zwar nicht nur, indem einer vorne steht und mit einer Power Point Präsentation seine wissenschaftlichen Studien erklärt. Wir müssen andere Formen finden, miteinander zu reden und anwendungsorientierter zu arbeiten.“ 

Studieren um sich zu sich selbst zu machen

Es brauche eine gewisse Lehrbasis, sagt Schulze. „Natürlich müssen wir in der Lehre gewisse Perspektiven aus einem Fachzusammenhang vermitteln. Das verstehe ich auch unter Wissenschaft.“ Ihre Studierenden sollen sich darüber hinaus eine gewisse Haltung erarbeiten. „Ich werde gemeinsam mit ihnen argumentieren“, aber das sei kein fester Bildungskanon. „Die Studierenden brauchen mich nicht nur als Inputgeberin, die sie mit Wissen vollstopft. Die brauchen jemanden, der gemeinsam mit Ihnen Fragen stellt.“ Es dauere eben diese sieben Semester, sagt Schulze, „bis man sich sein Thema schnappt, seine Bachelorarbeit schreibt, und alles, was man gelernt hat, in diese Arbeit gießt. Am Ende hat sich jemand zu sich selbst gemacht, indem er sich eine eigene Perspektive erarbeitet hat.“

„Die Studierenden brauchen mich nicht nur als Inputgeberin, die sie mit Wissen vollstopft. Die brauchen jemanden, der gemeinsam mit Ihnen Fragen stellt."

Mandy Schulze sagt, „ich bereichere mit meiner Perspektive auf Netzwerke.“ Zusätzlich zur Lehre, läuft die Auseinandersetzung und Forschung mit ihren Themen immer nebenbei – sie freut sich über diese spannende Zeit der Transformationsprozesse. „Genau wie zur Wendezeit sind Strukturen weggebrochen und neue entstehen.“ Schulze regt an, diese (unsichere) Zeit zu nutzen: was gibt es für Gemeinwesenarbeit? Wieviel von meinem Wissen kann ich einsetzen? Und was nicht? Mit wem stimme ich mich ab, oder nicht? „Wir können nicht sagen, wie es weitergeht. Es könnte alles auch ganz anders sein. Da ist eine Unsicherheit, die wir aushalten müssen. Ein Lernprozess in der modernen Zeit – und der muss ein bisschen Pfeffer haben und Chili!“

 

Das Gespräch führte Sophie Herwig

Foto: Prof. Dr. phil. Mandy Schulze
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